Eine enge emotionale Bindung zwischen Eltern und Kind – Attachment Parenting bedeutet übersetzt „bindungsorientierte Elternschaft“. Der Begriff bezeichnet in der Entwicklungspsychologie eine enge emotionale Bindung zwischen Eltern und Kind, die auf Empathie, Zuneigung und Vertrauen beruht.
Attachment Parenting – ein Umdenken in der Gesellschaft
Anfang des 20. Jahrhunderts hatten Kinder zu gehorchen und sich unauffällig zu benehmen. Widerspruch war unerwünscht, sie sollten die Worte ihrer Eltern nicht infrage stellen. Es war nicht ungewöhnlich, das gewünschte Verhalten durchzusetzen. Psychischer und physischer Druck galten zu diesem Zweck nicht als verwerflich.
Sicher haben nicht alle Eltern ihre Kinder geschlagen, wenn sie mal nicht sofort pariert haben, dennoch tendierte die vorherrschende Auffassung in der Gesellschaft eher dahin, dass Kinder zu „funktionieren“ hätten.
In den folgenden Jahrzehnten fand ein Umdenken statt. Eltern sollten die Eigenständigkeit ihrer Kinder fördern. Sie sollten sich entfalten können, Zuneigung erfahren und in einem schützenden Umfeld aufwachsen. Kinder sollten also nicht mehr nur erfüllen, was von ihnen erwartet wurde, sondern die Eltern sollten die Bedürfnisse ihres Kindes achten.
Aus diesem Umdenken heraus entstand schließlich in den 70er Jahren der Begriff Attachement Parenting – Eltern und Kinder sollten grundsätzlich eine vertrauensvolle, harmonische Beziehung zueinander haben.
Prinzipien
Der Begründer der Erziehungsmethode hat acht Prinzipien aufgestellt, die Eltern beim Umgang mit ihrem Kind beachten sollen, um dessen Entwicklung optimal zu fördern.
Geburt: Für das Neugeborene ist sofortiger Kontakt zu den Eltern wichtig, um ihm Geborgenheit zu vermitteln und frühzeitig eine intensive Bindung aufzubauen.
Bedürfnisse erkennen: Eltern sollten ihr Baby beobachten, um seine Bedürfnisse zu erkennen. Idealerweise sind sie in der Lage, sein Befinden zu deuten und gegebenenfalls zu reagieren, bevor es anfängt zu weinen.
Stillen: Das Kind muss nur dann trinken, wenn es tatsächlich das Bedürfnis danach hat. Es darf seinen Hunger stillen und wird nicht zum Trinken animiert, wenn es nicht möchte. Wird es nicht gestillt, sollten die Eltern ihm im Wechsel die Flasche anbieten. Möchte das Baby nicht trinken, kann die körperliche Nähe genutzt werden, um ihm Geborgenheit zu schenken.
Körperliche Nähe: Der Körperkontakt zu den Eltern vermittelt dem Kind Sicherheit. Das Bedürfnis nach körperlicher Nähe sollte daher bei jeder Gelegenheit erfüllt werden. Dazu eignet sich das Füttern und Baden, auch zärtliche Massagen oder das Kind in einem Tuch am Körper zu tragen sind geeignete Möglichkeiten.
Kontakt in der Nacht: In Bezug auf die Prävention des plötzlichen Kindstods wird empfohlen, das Baby im ersten Lebensjahr im Elternschlafzimmer im eigenen Bettchen schlafen zu legen. Ein sogenanntes Beistellbett, das an das Elternbett angebracht werden kann, eignet sich daher sehr gut, um es vor Überwärmung durch die Bettdecke und die Kissen der Eltern zu schützen. In dieser räumlichen Nähe ist es möglich, schneller die Bedürfnisse des Babys zu befriedigen und auf das Kind einzugehen.
Sanfte Korrektur: Zeigt ein Kind unerwünschtes Verhalten, ist die Empathie der Eltern gefragt. Es sollte Zuneigung erfahren und auf sanfte, verständnisvolle Weise zu einem alternativen Verhalten geführt werden.
Keine Trennung: Das Kontaktbedürfnis zu den Eltern ist bei Babys und Kleinkindern groß, Trennungen sind daher nach Möglichkeit zu vermeiden. Sind sie dennoch notwendig, sollte das Kind frühzeitig zu einer anderen Person eine Beziehung aufbauen können, die sich dann um die Betreuung kümmert.
Harmonie: Jedes Kind soll in einem harmonischen Umfeld aufwachsen können. Ein ruhiger, konstruktiver Umgang mit Konflikten trägt ebenso dazu bei wie die Ausgeglichenheit der Eltern, die sich auf das Kind überträgt. Sie müssen daher einen Weg finden, auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen, ohne dabei selbst zu kurz zu kommen.
Praktische Umsetzung
In der Theorie klingt Attachment Parenting plausibel, soll dem Kind doch der bestmögliche Start ins Leben ermöglicht werden und es Gelegenheit erhalten, sich in einem harmonischen, seine Bedürfnisse respektierenden Umfeld zu entfalten.
Im Alltag kann es sich durchaus als schwierig erweisen, alle Prinzipien zu erfüllen. Haushalt und Beruf sowie das Bedürfnis der Eltern, sich auch mal zurückzulehnen, sind schließlich damit unter einen Hut zu bringen.
Bei allen Bemühungen hat das Kind nichts davon, wenn übermüdete Eltern versuchen, ihre Erschöpfung und Gereiztheit zu überspielen, um dem Kind eine heile Welt vorzugaukeln – so etwas spüren Kinder.
Möglicherweise ist es schlicht notwendig, Ihr Kind in einer Kindertagesstätte unterzubringen, statt eine vertraute Person mit der Betreuung zu beauftragen. Auch ist es sicher nicht immer möglich, in jeglicher Situation gelassen zu reagieren oder Ihr Kind jederzeit im Auge zu haben und sofort zur Stelle zu sein, wenn es mal weint.
Viele Eltern sehen Attachment Parenting daher als Leitfaden, weichen aber in dem ein oder anderen Punkt von den zugrunde liegenden Prinzipien ab – ob nun situationsbedingt oder einfach, weil sie sich nicht hundertprozentig mit dieser Erziehungsmethode identifizieren können.
Kritische Stimmen
Es mag möglich sein, sich im familiären Umfeld voll und ganz den Bedürfnissen des Kindes zu widmen. Spätestens im Kontakt mit anderen Menschen oder wenn das Kind mal mit unbekannten Situationen konfrontiert wird, erweist sich das als schwierig, sind Kritiker der Ansicht.
Kinder müssen schließlich lernen, sich auf andere Menschen einzustellen und das Geschehen um sie herum zu verarbeiten, ohne, dass die Eltern immer eine schützende Hand über sie halten.
Bisweilen wird die Erziehungsmethode daher als einseitig und als Modeerscheinung bezeichnet. Kinder sollten erfahren dürfen, wie sie Konflikte und unschöne Situationen bewältigen können, nicht immer dreht sich im Leben alles um die eigenen Bedürfnisse. Sie müssen auch lernen, mit Emotionen wie Wut umzugehen.
Kritisiert wird also, dass derart erzogene Kinder entweder verweichlichen und Schwierigkeiten haben könnten, ungewohnte Alltagssituationen zu meistern, oder aber das Gegenteil eintritt. So ist es durchaus möglich, dass es keine Grenzen kennt und daher seinen Willen mit allen Mitteln durchsetzen möchte.
Kompromisse finden
Eine völlig antiautoritäre Erziehung, die sich ausschließlich und jedem kleinsten Bedürfnis des Kindes widmet, erweist sich bei den meisten Familien in der Praxis als schwierig. Selbstverständlich sollten die Grundbedürfnisse erfüllt sein, dazu zählen neben der Ernährung auch Geborgenheit sowie körperliche und emotionale Zuwendung.
Ein Kind muss aber auch lernen, dass es nicht immer im Mittelpunkt steht, wie es sich gegenüber der Umwelt verhalten soll, wie es mit Konflikten umgeht und dass auch die Eltern Menschen mit eigenen Bedürfnissen sind. Wer sich also für Attachment Parenting interessiert, findet sicher eine Möglichkeit, Elemente daraus zu übernehmen und andere abzuwandeln oder zu ersetzen – im eigenen und im Interesse des Kindes.
Fazit
Eine Erziehung, die auf Druck und Gewalt basiert, ist der falsche Weg. Attachement Parenting ist das genaue Gegenteil. Hier stehen die Bedürfnisse des Kindes im Vordergrund, die konsequente Umsetzung ist jedoch weder immer leicht noch muss sie ideal sein. Die Grundprinzipien allerdings sind sicher nicht falsch:
- Zuneigung
- Verständnis
- körperliche und emotionale Geborgenheit vermitteln
- Bedürfnisse des Kindes achten
- intensive Eltern-Kind-Bindung
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- Nehmen Sie Attachment Parenting als Leitfaden in Ihrem persönlichen Erziehungsstil. Ein liebevoller, bedürfnisorientierter Umgang mit dem Baby schließt eine gewisse Disziplin nicht aus.
- Um die Bedürfnisse Ihres Babys zu erkennen ist es wichtig, dass Sie in nahem Kontakt zu Ihrem Kleinen stehen. Gerade bei Neugeborenen sollten Sie wenn möglich ständig in der Nähe sein, damit Sie richtig und zeitgerecht auf die Bedürfnisse reagieren können.
- Achten Sie auf die frühen Hunger-Zeichen Ihres Babys- legen Sie Ihr Baby wenn möglich an die Brust bevor es weint oder verabreichen Sie ihm das Fläschchen. Frühe Hungerzeichen zeigen sich bei jedem Baby unterschiedlich. Häufige Zeichen sind z.B wenn die Fäustchen zum Mund geführt werden oder auch schmatzen und grimassieren.
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