Der Hollywood-Klassiker „Rainman“ aus den 1980er Jahren prägt die Vorstellung vieler Menschen, wenn sie den Begriff Autismus lesen oder hören. Die Diagnose wird meist im 5. Lebensjahr gestellt.
Doch wie entwickeln sich Babys und Kleinkinder mit einer Veranlagung zu dieser komplexen Entwicklungsstörung? Welche Symptome gibt es?
Die vermuteten Ursachen von Autismus
Die Wahrnehmung von Autisten ist oft damit verbunden, dass die soziale Interaktion mit ihnen schwieriger oder vollkommen anders zu sein scheint, als mit nicht autistischen Menschen. Aus wissenschaftlicher Sicht liegen nach heutigem Kenntnisstand veränderte Informationsflüsse im Gehirn von Betroffenen vor.
Erbgut als Ursache für Autismus vermutet
Die Ursachen werden unter anderem im Erbgut der jeweiligen Person vermutet. Bei verschiedenen Untersuchungen von Familien fiel beispielsweise auf, dass es bei ihnen häufiger zu neurologischen Problemen kam. So breit das Spektrum des Autismus ist, so zahlreich sind derzeit die identifizierten Genorte, bei denen Abweichungen als ursächlich für die Erkrankung vermutet werden.
Auch verschiedene Umweltfaktoren wurden als mögliche Auslöser von Autismus vermutet:
- Veränderungen in der Ernährung und im Verdauungstrakt,
- zu starke Belastungen mit Schadstoffen, wie Quecksilber,
- eventuelle Impfschäden.
Jedoch konnte keine dieser Hypothesen bisher bewiesen werden.
Konkrete Ursachen von Autismus können nach dem momentanen Forschungsstand nicht benannt werden.
Auch eine genaue Anzahl der Kinder mit Autismus ist nicht bekannt. US-amerikanische Statistiken gehen von einer Autismus-Rate von 1 zu 140 Kindern aus. Jungen sind nach statistischen Untersuchungen viermal öfter betroffen als Mädchen. Das Vorkommen der Erkrankung ist unabhängig von kulturellem Hintergrund und den Einkommensverhältnissen der Eltern.
Formen des Autismus
Während früher zwischen drei verschiedenen Subtypen des Autismus unterschieden wurde (frühkindlicher Autismus, atypischer Autismus und Asperger-Syndrom), werden heute alle Formen unter dem Schirmbegriff ‚Autismus-Spektrum-Störungen‘ zusammengefasst, da von fließenden Übergängen zwischen den Formen ausgegangen wird. Das Spektrum der Erkrankung reicht von schwerer geistiger Behinderung ohne Erlernen der Lautsprache bis zu autistischer Störung auf hohem Funktionsniveau und möglicher Hochbegabung.
Die Symptome in der Übersicht
Obwohl es sich bei Autismus um eine Entwicklungsstörung handelt, die sich oft innerhalb der ersten drei Lebensjahre manifestiert, wird die entsprechende Diagnose meist erst im fünften Lebensjahr gestellt. Dass sich ihr Kind anders entwickelt als gleichaltrige bemerken viele Eltern jedoch schon wesentlich früher.
Die meisten Eltern suchen bereits ab einem Alter von 12 bis 18 Monaten ärztlichen Rat, weil Ihr Kind:
- verbal und non-verbal anders oder kaum in gewohnter Weise kommuniziert
- keinen Augenkontakt aufnimmt und kein soziales Lächeln zeigt
- in der sozialen Interaktion in und außerhalb der Familie Schwierigkeiten hat
- wenig abwechslungsreiches Spielverhalten oder kein Fantasiespiel zeigt
- nicht gerne berührt wird, z.B. beim Wickeln oder beim Umarmen
Manche Kinder sind auch aggressiv gegenüber sich selbst, gegenüber anderen Personen oder ungewohnten Situationen. Nicht immer zeigen sich die Verhaltensänderungen in den ersten zwei Lebensjahren.
Wie verhalten sich Kinder mit einer möglichen Entwicklungsstörung?
Einige Betroffene entwickeln sich zunächst scheinbar normal und durchlaufen ab dem zweiten oder dritten Lebensjahr plötzlich starke Verhaltensänderungen. Die Sinneswahrnehmung ist bei vielen autistischen Kindern intensiv ausgeprägt. Zu den Symptomen, die schon in der frühen Kindheit auf eine autistische Entwicklung hindeuten, gehören:
- fehlendes Interesse an Dingen, für die sich andere interessieren
- fehlendes Zeigen auf Gegenstände
- kein Bedürfnis nach Kommunikation mit anderen
- wenig bzw. geringe Sprachentwicklung
- fehlendes Erkennen der eigenen Identität
- scheinbarer Mangel von Mitgefühl
- Vermeidung von Blickkontakt und Gesellschaft mit anderen Kindern
- eigenartige sensorische Interessen
- stark erhöhtes oder sehr verringertes Reizempfinden
- sehr kurze oder sehr ausgeprägte Aufmerksamkeitsspanne je nach Interessenslage
- Bewegungsstereotypien (z.B. Zehenspitzengang und Hand-/Fingerstereotypien)
Wie wird Autismus diagnostiziert?
Zeigt ein Kleinkind im Rahmen der empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen Verhaltensauffälligkeiten, so ist dies für Ärzte oft ein Anlass, Tests durchzuführen, um den Grund des abweichenden Entwicklungsverlaufs festzustellen und das Kind dann an erfahrene Fachkräfte zu überweisen. Die Feststellung einer autistischen Erkrankung sollte durch ein multidisziplinäres Team erfolgen und sowohl aus einer Beobachtung des Kindes als auch einer Befragung der nahestehenden Bezugspersonen bestehen.
Dabei werden Eltern beispielsweise gefragt:
- wann ihr Baby zum ersten Mal bewusst gelacht hat
- ob ihr Baby gern Gesichtsausdrücke mit anderen austauscht (ab 9. Monat)
- ob ihr Kind auf Dinge zeigt oder anderen winkt (ab 12. Monat)
- ob es Worte sagt (ab 16. Monat) bzw. Zwei-Wortsätze spricht (ab 24. Monat)
- ob es gerne mit den Eltern oder anderen Kindern altersgerecht spielt
Weitere Studienergebnisse zu Symptomen von Autismus
Gemäß einer Studie von Gillberg lassen sich auch schon bei Säuglingen Anzeichen von Autismus entdecken. So nehmen sie Geräusche scheinbar anders wahr oder können sie sogar ignorieren.
Ebenfalls scheinen sie nicht so am Spielen interessiert zu sein wie andere Babys. Diese Anhaltspunkte lassen oftmals aber noch nicht die Diagnose Autismus zu. Doch sie führen zu einer intensiveren ärztlichen Beobachtung und ermöglichen so schon frühe Therapiemöglichkeiten.
Das Asperger Syndrom als besondere Form der autistischen Störung
Treten erst nach dem vierten Lebensjahr deutliche Anzeichen einer autistischen Störung auf, wird oftmals das sogenannte Asperger Syndrom diagnostiziert.
Leichte Form von Autismus mit besonderen Fähigkeiten
Es gilt als leichtere Form des Autismus und ist in vielen Fällen mit speziellen Interessen oder sogar einer „Inselbegabung“ verbunden, was bedeutet, dass eine Person eine sehr spezielle Begabung in einem bestimmten Bereich aufweist, obwohl sie im Alltag ein Handicap hat.
Wird die soziale Interaktion eines Kindes durch das Asperger Syndrom nicht allzu stark eingeschränkt und zeigen sich herausragende Fähigkeiten im Vergleich zu Gleichaltrigen, wird diese Form des Autismus auch als „Nerd Syndrom“ oder „Little Professor Syndrome“ bezeichnet.
Der fehlende Wunsch nach Beziehungen zu anderen Gleichaltrigen ist bei Kindern oftmals ein wichtiger Anhaltspunkt für ein Asperger Syndrom. Im Jugend- bzw. jungen Erwachsenenalter wandelt sich oftmals diese Sicht.
Allerdings fehlen dann den Betroffenen die notwendigen Fähigkeiten, um zwischenmenschliche Bindungen aufzubauen und zu gestalten. Verhaltens- und gesprächstherapeutische Maßnahmen können in dieser Problemlage sehr hilfreich sein.
Therapie-Ansätze für autistische Störungen
Auch bei autistischen Störungen, die sich bereits in den ersten drei Lebensjahren herausbilden, finden verhaltenstherapeutische Maßnahmen wirkungsvolle Anwendung. Die Therapiekonzepte setzen meist sowohl am Verhalten der betroffenen Kinder als auch am Verhalten der Familie bzw. des Umfelds an.
Nur wenn das Umfeld eines autistischen Kindes lernt, mit dessen Besonderheiten umzugehen, ist laut Kinderpsychologen eine Erhöhung der (Zusammen-)Lebensqualität möglich. Aus diesem Ansatz heraus haben sich auch spezielle Eltern- und Beziehungstrainings entwickelt. Als stützende Therapiemaßnahmen gelten:
- sprachtherapeutische
- ergo- bzw. gestalttherapeutische
- kunsttherapeutische
- musiktherapeutische
- physiotherapeutische Maßnahmen und
- psychologische Beratung/Betreuung
Tiertherapien bei Autismus
Auch Therapien mit Tieren, wie Reit- und Delfintherapien bzw. der Umgang mit Therapiehunden, wird zur Behandlung von Autismus genutzt. Sie dienen dazu, bisher nicht mögliche kommunikative und emotionale Zugänge zu Autisten zu erhalten.
Verfügt ein Autist über gute sprachliche und kognitive Fähigkeiten, können soziale Kompetenztrainings sinnvoll sein. Eine medikamentöse Therapieform, die konkret für die Behandlung von Autismus zugelassen ist, gibt es derzeit nicht.
© WavebreakmediaMicro – Fotolia.com
Fazit
- Autismus steht für ein sehr weites Spektrum an Entwicklungsstörungen, die insbesondere die soziale Interaktion und Kommunikation der Betroffenen erschweren.
- Manche Kinder mit Autismus zeigen schwere Entwicklungsverzögerungen oder Beeinträchtigungen und sind ihr Leben lang auf Hilfe angewiesen, während andere im Erwachsenenalter trotz ihrer „Andersartigkeit“ gut mit ihrer Umwelt zurechtkommen.
- Menschen mit Autismus haben häufig erhebliche Schwierigkeiten, sprachliche Äußerungen in der gegebenen Situation (Kontext) angemessen zu verstehen, oder Ironie wahrzunehmen. Sie können sich auch nur sehr schwer in die Lage anderer Menschen reinversetzen.
- Während die Ursache derzeit noch unklar ist, können verschiedene Therapiemaßnahmen die betroffenen Kinder und ihre Eltern erfolgreich unterstützen. Eine Heilung von Autismus ist aktuell nicht möglich.
- Wenn Ihr Baby mit zunehmendem Alter keinen längeren Blickkontakt aufnimmt, ihm Berührungen eher unangenehm sind und das Spielverhalten nicht altersgemäß oder sehr eintönig ist, sollten Sie Ihren Kinderarzt bei der nächsten Vorsorgeuntersuchung darüber informieren.
- Die Diagnose von Autismus ist aufgrund des weiten Spektrums nicht einfach und sollte durch ein erfahrenes Expertenteam gestellt werden, z.B. an einem sozialpädiatrischen Zentrum.
- Je nach Entwicklungsstand des Kindes sind unterschiedliche Fördermaßnahmen sinnvoll und können die Lebensqualität der Betroffenen verbessern.
Dieser Artikel wurde von unserem Expertenteam geprüft.