Die Rolle der Hebammen
Über viele Jahrtausende waren Geburten reine Frauensache. Die Geburtshilfe lag in der Hand heilkundiger Frauen – der Berufsstand der Hebamme hat sich damit historisch schon sehr früh herausgebildet. Im Mittelalter begann die Kirche, die Tätigkeit der Hebammen in ihrem Sinn zu organisieren. Ab dem 13. Jahrhundert schworen Hebammen einen Eid, der sie zu einem christlichen Lebenswandel verpflichtete. Suspekt blieben sie der Kirche trotzdem – Hebammen fielen den Hexenverbrennungen der frühen Neuzeit besonders oft zum Opfer.
Angestellte Hebammen gibt es seit dem 16. Jahrhundert, rund 200 Jahre später wurden die ersten Entbindungskliniken gegründet. Damit verloren auch die Hebammen ihre einzigartige Rolle in der Geburtsbegleitung. Die Geburtshilfe wurde mehr und mehr zu einer ärztlichen – und damit zunächst männlichen Domäne.
Historische Geburtshilfe – Fokussierung auf die eigentliche Geburt
Die historische Geburtshilfe fokussierte sich auf den unmittelbaren Vorgang der Geburt. Eine Schwangerschaftsbegleitung im heutigen Sinne war bis weit ins 20. Jahrhundert hinein nicht vorgesehen. Im 18. und 19. Jahrhundert ging es zunächst darum, die Überlebenschancen für Mütter und Kinder zu verbessern. Eine ungünstige Lage des Kindes, Komplikationen während der Geburt oder Wochenbettinfektionen – das berüchtigte Kindbettfieber – konnten schnell zum Todesurteil für das Baby, die Mutter oder beide werden.
Die Erfindung der Geburtszange und die Möglichkeit, einen Kaiserschnitt unter Vollnarkose durchzuführen, datieren auf das 18. bzw. 19. Jahrhundert – naturgemäß durfte beides nur von Ärzten angewendet werden.
Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckte der ungarische Arzt Ignaz Semmelweis, dass sich durch antiseptische Maßnahmen und Hygiene die Müttersterblichkeit in den damaligen Geburtshäusern entscheidend senken ließ. Trotzdem blieb die Hausgeburt in Anwesenheit eines Arztes in den folgenden Jahrzehnten noch die Regel.
Trend zur Klinikgeburt – erst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts
Der Trend zur Klinikgeburt setzte in Deutschland erst in den 1940er und 1950er Jahren ein. Aus Sicht der Mediziner war er zunächst durchaus nicht unumstritten. Zu den Leistungen der Krankenkassen zählte die Geburt im Krankenhaus erst seit den 1960er Jahren, vorher war dafür eine ärztliche Risikobescheinigung nötig.
Einmal etabliert, wurde die Klinikgeburt allerdings sehr schnell zum Standard – für eine Hausgeburt entscheidet sich auch heute nur etwa ein Prozent der Schwangeren.
Viele Frauen, die sich heute im Seniorinnenalter befinden, erlebten die Klinikgeburten ihrer Kinder als traumatisch. Oft wurde die das Gebären zu einem regelrecht „technischen Ereignis“, bei dem die Gebärenden zwar mit guten medizinischen Standards, jedoch nicht mit einer individuellen Umgebung oder Behandlung rechnen konnten.
Auch die werdenden Väter hatten an einer Geburt normalerweise keinen Anteil, sondern warteten darauf, dass ihnen eine Hebamme oder ein Arzt die freudige Nachricht überbrachte.
Sanfte Geburt – ein Wunsch von Geburtshelfern und Frauen
Parallel zu diesem Trend entwickelten Geburtshelfer Überlegungen zu einer sanften, natürlichen Geburt. Als „Vater“ der entsprechender Methoden und Konzepte gilt der französische Gynäkologe Fréderick Leboyer (*1918).
Aus seiner Perspektive ist der Geburtsvorgang für Mutter und Kind ein Prozess des Übergangs, für den eine ungestörte und individuelle Atmosphäre wichtig ist. Schmerzen und auch Ängste werden durch Atem- und Entspannungstechniken, Hypnose und individuelle Geburtspositionen minimiert. Medizinische Interventionen kommen nur zum Einsatz, wenn sie unumgänglich sind.
Dieser Ansatz fand nicht nur bei den Geburtshelfern, sondern auch bei vielen Frauen Resonanz, die sich für die Geburt eine individuelle Umgebung wünschten. Seit den 1970er Jahren setzten hierdurch in der Geburtshilfe nachhaltige Veränderungen ein.
Die Gegenwart: Natürliche Geburt mit medizinischer Begleitung
Mit der sterilen Atmosphäre der Kreißsäle früherer Jahrzehnte haben heutige Geburtskliniken kaum noch etwas zu tun. Werdende Mütter haben die Möglichkeit, zwischen Kliniken mit unterschiedlichen Angeboten für die Geburt zu wählen. Betreut werden sie nicht nur vom Klinikpersonal, sondern auf Wunsch auch von einer Beleghebamme.
Wenn keine Risikoschwangerschaft besteht und folglich keine medizinischen Gründe dagegensprechen, sind auch Geburten im Geburtshaus oder Hausgeburten möglich. Zum Teil sind von Hebammen oder Gynäkologen geleitete Geburtshäuser direkt an eine Geburtsklinik angeschlossen.
Bei einer komplikationslosen Geburt entscheidet die Gebärende weitgehend selbst über den äußeren Rahmen für die Geburt sowie die medizinische Unterstützung, die sie sich dafür standardmäßig wünscht. Selbstverständlich ist, dass auch der werdende Vater, sofern er und seine Partnerin es wünschen, bei der Geburt zugegen ist. Natürliche Behandlungsverfahren – beispielsweise Aromatherapien oder Akupunktur – sind auch in den Kreißsaal eingezogen.
Dabei setzt die Vorbereitung auf die Geburt nicht erst in der Klinik oder im Geburtshaus ein, sondern beginnt bereits, sobald die Schwangerschaft bekannt wird. In der heutigen ganzheitlichen Geburtsvorbereitung gehen umfassende medizinische Begleitung im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge, die individuelle Betreuung durch eine Hebamme sowie die Verbindung von Schulmedizin und Naturheilkunde Hand in Hand.
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